Wir Menschen sind sprichwörtlich Allesfresser. Wir essen andere Lebewesen genauso wie Wurzeln oder Knollen, die wir aus der Erde graben oder Früchte, die vom Baum fallen. Doch wie kann es dann sein, dass vor allem Kleinkinder, manchmal aber auch Babys genau das nicht mögen, was wir als Eltern für das vernünftigste und gesündeste Essen halten? Warum essen Kinder so ungern Gemüse?
Ich bin der Frage auf den Grund gegangen und kann vorab sagen: Das ist absolut normal und sinnvoll. Trotzdem ist Gemüse für Kinder wichtig und Du solltest nicht aufgeben, es zu versuchen.
Warum isst mein Kind Kein Gemüse – die Evolution ist schuld!
Evolution?
Wenn Du mit dem Wort Evolution nicht so viel anfangen kannst oder dich nur noch dunkel an den Biologieunterricht erinnern kannst, erst einmal eine kurze Auffrischung in einfachen Worten: Die Evolutionslehre wurde von der Vererbungslehre Darwins geprägt und wird auch als “Survival of the fittest” (Überleben des Stärkeren) bezeichnet. Kurz gesprochen sagt die Evolutionslehre aus, dass diejenigen, die genetisch besser an ihre Umwelt angepasst sind, ihre Gene weitergeben werden und sich damit das gesamte Erbgut der Lebewesen immer an ihre Lebensumwelt anpasst. Im Rahmen der Evolution entwickelt sich der Mensch als Spezies also weiter und wird immer “besser”.
Evolution und kindliches Verhalten
Nun ist es so, dass diese Evolution sehr, sehr langsam von statten geht. In den letzten 10.000 Jahren hat die Lebenswirklichkeit von uns Menschen sich stark verändert, die Menschen wurden sesshaft, begannen, Ackerbau zu betreiben, vor wenigen hundert Jahren setzte dann die industrielle Revolution ein. Heute sind wir mit einem Lebensstil vertraut, der sich gravierend unterscheidet von dem, woran die Evolution des Menschen uns in den letzten Jahrhunderttausenden angepasst hat.
Unser Erbgut ist sozusagen immer noch in der Steinzeit, während wir aber in modernen, technisch hoch entwickelten Gesellschaften leben. An diese neuen Gegebenheiten können wir uns teilweise während dem Erwachsenwerden anpassen – durch Lernprozesse. Ein Baby, das vor allem mit Instinkten und angeborenen Verhaltensweisen ausgestattet ist, hat es da weniger leicht. Deshalb funktioniert kindliches Verhalten in vielen Bereichen immer noch wie in der Steinzeit. So, wie es in den Genen festgeschrieben ist.
Ein solcher Bereich ist die Gewöhnung an feste Nahrung.
Darum isst Dein Kind kein Gemüse
“Natürlich”, also für einen ganz großen Zeitraum in der Geschichte des Menschen, funktionierte diese Gewöhnung so: Am Anfang gab es Milch aus der Brust der Mutter. Sehr bekömmlich, nahrhaft, süß und absolut ungefährlich.
Nach einigen Monaten, vielleicht manchmal auch schon kurz nach der Geburt, begannen die Erwachsenen, dem Baby auch andere Nahrung zu geben. Ob vorgekaut, zerquetscht oder als Ganzes, sei jetzt mal dahingestellt, das ist eine andere Diskussion. Auch dann war die Nahrung weiterhin sicher, denn Eltern würden ihrem Kind natürlich nichts geben, was giftig oder unbekömmlich ist.
In dieser Zeit essen tatsächlich auch Babys und Kleinkinder meist noch fast alles, was man ihnen gibt – inklusive Brokkoli, Pastinake und Co. Darum habt ihr als Eltern auch dann die Chance, das Baby an viele verschiedene Geschmacksrichtungen heranzuführen.
Zurück zur Steinzeit. Irgendwann um den ersten Geburtstag herum werden die meisten Kinder mobil und langsam auch selbständiger. Je nach Umgebung und Kultur dürfen sie sich mehr und mehr eigenständig bewegen und ihr Aktionsradius ohne elterliche Kontrolle wird größer. Nun könnten sie auch auf giftige und damit gefährliche Lebensmittel stoßen. Kinder, die sich dann einfach alles einverleiben, wurden im Laufe der Evolution schnell aussortiert: Sie erwischten irgendwann eine Tollkirsche oder andere giftige Lebensmittel und starben. Diejenigen aber, deren Geschmackssinn einen Sicherheitspuffer eingebaut hatte, überlebten und konnten so ihre Gene weitergeben – an die Generation der Menschheit, die heute lebt.
Der geschmackliche Überlebenstrick lautet ganz einfach: Süße Lebensmittel sind sicher. Je bitterer, saurer oder herber ein Lebensmittel, desto unsicherer. Darum ist Gemüse für Kinder plötzlich ganz furchtbar und sie fokussieren sich auf süße und liebliche Nahrungsmittel: Zucker, Obst, weiße Kohlenhydrate, Milchprodukte.
Es ist also völlig normal, dass Dein Kleinkind kein Gemüse isst. Seine Gene und Instinkte haben nämlich keine Ahnung, dass in unseren Vorrats- und Kühlschränken keine ungenießbaren, sondern nur bekömmliche Lebensmittel auf uns warten. Der Geschmackssinn funktioniert immer noch wie vor vielen Jahrtausenden – und mag einfach kein Gemüse. Zumindest nicht, wenn es auch lieblichere Nahrungsmittel zur Auswahl gibt.
Dieser Mechanismus trifft natürlich nicht auf alle Kinder zu, denn unsere Evolution lebt von der genetischen Vielfalt. Und während früher Kinder ohne diesen Sicherheitsmechanismus häufig “aussortiert” wurden, werden sie heute für ihre Experimentierfreudigkeit in Sachen Nahrungsaufnahme gefeiert. Ein Kleinkind, das Brokkoli und Salat isst, gilt heute als “wohlerzogen”, “guter Esser” oder als Vorbild für andere. Dabei sind sie mit gutem Grund die Ausnahme und die Kinder, die das Gemüse verschmähen, eigentlich die Krone der Evolution.
Warum Dein Kind nur Süßes und Ungesundes will
Auch, dass Kinder lieber Fettes, Süßes und andere Kalorienbomben bevorzugen, hat einen guten Grund. Früher gab es weder Zucker noch andere kalorienreiche Nahrungsmittel im Überfluss. Im Gegenteil. Nahrung war in den allermeisten Zeiten knapp. Wer also auf süßes Obst oder fettes Fleisch stieß, der war gut beraten, viel davon zu essen. Auch und vor allem Kinder. Das sicherte das Überleben und war darum eine Verhaltensweise, die in der Evolution Erfolg hatte – und weiter vererbt wurde.
Dass Süßes dick und krank macht, ist erst möglich in einer Gesellschaft, die weißen Zucker und weißes Mehl erfunden hat und sämtlichen Lebensmitteln beimischt.
Wie Gemüse für Kinder trotzdem attraktiv wird
So weit so gut, die Abneigung gegen Gemüse ist also normal. Doch es bleibt der Fakt, dass wir in unserer Gesellschaft wenig davon essen und eben dieses Gemüse aber gesund wäre. Wir Erwachsenen brauchen genauso wie unsere Kinder Vitamine, Ballaststoffe, Mineralien und andere Nährstoffe, die darin vorkommen.
Wie also bekommen wir unsere Kinder dazu, irgendwann doch Gemüse zu essen?
1. Soziales Lernen
Ist Dir schon einmal aufgefallen, dass Dein Kind immer genau das möchte, was ältere oder andere Kinder in der Umgebung gerade haben oder essen? Das liegt daran, dass diese Kinder oder auch Erwachsene als Vorbilder dienen. Wenn andere also Blumenkohl essen, ist er wahrscheinlich sicher. Je öfter Dein Kind zusieht, wie jemand anders Blumenkohl isst, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass es diesen selbst haben will.
2. Den Geschmack prägen
Tatsächlich ist es so, dass wir uns an Lebensmittel gewöhnen, die wir häufig essen. Nutze daher die Phase, bevor Dein Baby kein Gemüse mag und gewöhne seine Geschmacksknospen an den Geschmack von gesundem, vollwertigen Essen. Die Vorliebe für Süßes und Kalorienreiches ist angeboren, Du brauchst diese Lebensmittel nicht zu geben. Diese Geschmacksprägung beginnt übrigens bereits in der Schwangerschaft und Stillzeit!
3. Nicht zwingen!
Keinesfalls solltest Du Dein Kind dazu zwingen, irgendwas zu essen. Egal, ob durch Androhung von Strafen oder Versprechen von Belohnungen. Ein Mechanismus, den man als Garcia-Effekt bezeichnet, sorgt dafür dass ein Lebensmittel, das einmal Übelkeit oder Erbrechen verursacht hat, für eine lange Zeit – oder sogar lebenslang – abgelehnt wird.
Positive Emotionen dagegen sorgen dafür, dass Kinder etwas lebenslang gerne essen.
Auch Erziehung ist deshalb fehl am Platz, wenn es um gemeinsame Mahlzeiten geht. Keine Sorge, wenn der Rest der Familie sauber mit Besteck isst und nicht schlingt und schmatzt, wird das Kleinkind das eines Tages auch lernen. Es früh zu Tischmanieren zu zwingen löst vielleicht nur weitere Abneigungen aus. Auch den Teller leer essen müssen fällt in diese Kategorie. Gerade bei mäkeligen Essern sollte Essen vor allem Spaß machen und Genuss bereiten.
4. Mit Hunger an den Tisch
Die geschmackliche Lebensversicherung ist also nicht unabwandelbar. Es gilt, Kinder langsam und positiv an Lebensmittel wie Gemüse heranzuführen. Dann gewöhnen sie sich irgendwann daran und ihr Instinkt stuft sie als “sicher” ein.
Aber wie bekommt man ein Kind zum probieren? Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Wenn es Hunger hat und Teil des Familientisches ist. Wenn alle am Tisch sitzen und Gemüse und Salat essen und das mit einer großen Selbstverständlichkeit, ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass die Kleinen das auch tun.
Versuche also, Dein Kind in den 1-2 Stunden vor den Mahlzeiten abzulenken oder zum vorab Snacken nur Gemüse auf den Tisch zu stellen. Und sorge dafür, dass es gemeinsame Mahlzeiten gibt. Übrigens: Auch Säfte, Limo oder Milch sättigen. Wasser ist deshalb vor allem vor dem Essen und zum Essen empfehlenswert.
Auch schön angerichtetes Essen und schöne Farben können zum Probieren verleiten und Gemüse für Kinder attraktiv machen.
All diese Infos und viele weitere hilfreiche Themen kannst Du nachlesen im Buch “Kinder verstehen. Born to be wild: Wie die Evolution unsere Kinder prägt.” von Herbert Renz-Polster, ein wirklich empfehlenswertes Buch, wenn Du das Gefühl hast, Dein Kind macht nicht so, wie Du es gerne hättest!
Was machen wenn mein Baby kein Gemüse isst?
Soviel also zu den Kleinkindern. In der Theorie essen Säuglinge noch mit viel Freude auch herbere oder saure Lebensmittel. In der Theorie – denn auch hier bestätigt die Ausnahme die Regel. Was also, wenn Du ein Baby hast, das von Anfang an kein Gemüse mag?
Langsam angehen lassen
Was ich Dir jetzt erkläre, gilt nicht nur für Babys, die kein Gemüse mögen, sondern grundsätzlich für alle Essanfänger: Im ersten Lebensjahr, wenn Säuglinge die erste Nahrung abseits von Muttermilch oder Flaschenmilch bekommen, geht es nicht um die Nahrungsaufnahme. Die Beikosteinführung hat nicht das Ziel, innerhalb weniger Wochen große Mengen Kalorien und Nährstoffe ins Baby zu bekommen. Die bekommt es weiterhin aus der Milch. Stattdessen geht es um Geschmacksprägung, die Freude am Essen, motorische und kognitive Entwicklung, Essgewohnheiten und auch Allergieprävention. Deshalb ist es schon wichtig, Beikost zu geben – aber eher unwichtig, wie viel davon gegessen wird.
Wenn Du aber stattdessen möchtest, dass Dein Baby möglichst schnell möglichst viel isst und es kein Gemüse mag, passiert vielleicht Folgendes: Du bietest einen babygerechten Teller oder Brei aus Gemüse, Proteinen und Kohlenhydraten an. Das Gemüse wird abgelehnt, im besten Fall vorher noch gekostet. Damit das Kind “überhaupt etwas isst und satt wird”, gibst Du ihm mehr von dem, was es gerne isst. Meistens sind das die Kohlenhydrate: Nudeln, Kartoffeln, Reis, Brot oder andere Mehlspeisen. Am liebsten natürlich die Weißmehlvariante, nicht die Vollkornprodukte.
Das führt tatsächlich dazu, dass Dein Baby viel isst – aber eben kein Gemüse. Was Du stattdessen tun solltest:
- Bleib gelassen, wenn Dein Kind Lebensmittel ablehnt und biete sie trotzdem weiter an.
- Biete eine ständig wechselndes, abwechslungsreiches Angebot verschiedenster Gemüsesorten. Je größer die Geschmacksvielfalt, desto eher wird Dein Kind bereit sein, verschiedenes zu essen.
- Versuche es mit verarbeitetem Gemüse, z.B. in Puffern, Waffeln oder Pancakes.
- Überprüfe Deinen eigenen Teller – viele Babys akzeptieren vor allem das, was auch ihre Familie isst.
Was passiert wenn Kinder kein Obst und Gemüse essen?
Als Eltern neigen wir ja dazu, uns schnell Sorgen zu machen, ob wir eingreifen müssen, um irgendeinen Schaden von unseren Kindern abzuwenden. So natürlich auch, wenn Kinder oder Babys kein Gemüse essen. Natürlich sind pflanzliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse aus verschiedensten Gründen sehr wichtig und haben langfristige Vorteile für die Gesundheit. So sorgen enthaltene Ballaststoffe für eine gesunde Darmflora, sekundäre Pflanzenstoffe und Antioxidantien wirken krebsvorbeugend und schützen die Zellen vor vorzeitiger Alterung.
Trotzdem passiert erst einmal nichts Schlimmes, wenn Babys kein Gemüse essen. Im Idealfall essen sie trotzdem Obst, aber auch ohne Obst geht das eine ganze Weile gut. Denn zunächst einmal bekommt Dein Kind ja viele dieser Stoffe weiterhin über die Muttermilch oder Pre-Milch. Seit 2010 gibt es außerdem eine Langzeitstudie, die zeigt, dass Kinder nicht unmittelbar mit einem Nährstoffmangel rechnen müssen, auch wenn sie über längere Zeit nur Nudeln und Brot essen. Die Forscher gehen davon aus, dass Kinder bei entsprechendem Angebot über kurz oder lang auf Nahrungsmittel mit den benötigten Nährstoffen zurückgreifen. Sie bekommen theoretisch plötzlich große Lust auf entsprechende Lebensmittel. Theoretisch.
Wenn Du Sorgen hast und Deinem Kind ein Mikronährstoffkonzentrat geben möchtest, schreib mich gerne an für weitere Details (kontakt@babyled-weaning.de).
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